Freitagmorgen am dritten Tag der Räumung und Rodung des Fechenheimer Waldes
von Willi Loose
Wenn ich aus dem Fenster meiner Wohnung in Bergen schaue, blicke ich auf dichten Nebel. Es sieht aus wie in meinem Kopf nach zwei Tagen dicht am Geschehen im Wald. Aus teilweise 10 m Entfernung musste ich hilflos zusehen, wie ein*e Besetzer*in nach dem*der anderen aus den Bäumen und Baumhäusern geholt wurde. Mit einer geradezu gespenstischen Präzision der polizeilichen Kletterer, langsam und bedächtig, aber sehr zielgerichtet. Wenn die Dämmerung kam, wurde die Höhenaktionen abgebrochen.
Aus kurzer Entfernung musste ich hilflos mit ansehen, wie ein Baum nach dem anderen erst geköpft und dann ganz umgelegt wurde. Dann schaute ich auf einen zerstörten, vollständig vom Unterholz befreiten Wald, in dem nur noch die großen Eichen als „potenzielle Brutbäume des Eichen-Heldbocks“ übrig blieben. Ob der Heldbock weiß, dass er dort bis zur kommenden Rodungsperiode bleiben und sich entwickeln darf? Bevor seine Brutbäume dann endgültig mittels einer Planfeststellungsänderung bzw. einer Ausnahmegenehmigung zur Tötung aus dem Weg geräumt wird. Wie sang einst Alexandra:
„… Strichst du mit deinen grünen Blättern Mir übers Haar mein alter Freund Mein Freund der Baum ist tot Er fiel im frühen Morgenrot…“
Jetzt ist nur noch Nebel über dem Restwald und in meinem Kopf.
Wie sind wir im Eilverfahren beim VGH Kassel verarscht worden. Nur Bäume, die nicht als potenzielle Brutbäume gelten, werden gefällt. Die gefällten Bäume wurden nicht nach Spuren dort lebender Heldböcke untersucht. Die Reste werden schnell geschreddert, damit ja keine Beweise übrig bleiben. Um die stehenbleibenden Eichen wird eine mindestens 5 m breite Pufferzone zu den Baustraßen abgegrenzt, auf denen künftig schwere Baufahrzeuge die Baustelle westlich des Waldes andienen. Wie auf meinen Fotos (siehe Fotogalerie) zu erkennen ist, führen die aufgeschütteten Trassen unmittelbar an den Stämmen der stehengebliebenen Eichen vorbei. Von wegen Pufferzone.
Die von mir am Morgen des zweiten Rodungstages formulierten naturschutzrechtlichen Verstöße seinen nur eine Einzelmeinung, wird der Pressesprecher der Autobahn GmbH, Steffen Rütenfrans, in der Frankfurter Rundschau von heute (20.01.2023) zitiert. Was er nicht sagt, ist, dass meine Vorwürfe nicht stimmen. Wie auch niemand der Gegenseite unsere Stellungnahme zur Überprüfung der kartierten Bäume im Sweco-Gutachten in Zweifel gezogen hat. Sie wurde einfach ignoriert und der VGH hat dabei mitgespielt. Schande über eine so oberflächliche Rechtssprechung.
Natürlich haben wir als Initiative keine so starke Potenz, dass wir gegen die gekauften Gutachten der Autobahn GmbH und des Hessischen Wirtschaftsministerium auch nur annähernd gegenhalten konnten. Trotzdem haben wir eine Reihe von inhaltlich gut begründeten gutachterlichen Stellungnahme einholen können. Auch diese wurden vom VGH ignoriert und als wissenschaftliche Einzelmeinung gewertet.
Gut, wenn man das große Geld auf seiner Seite hat. Das hat man die letzten Tage gesehen, mit welchem riesigen finanziellen, persionellen und maschinellem Aufwand die Räumung und Rochung des Fechenheimer Waldes vonstatten ging. Aber hilft einem das, den unaufhaltsamen Klimawandel aufzuhalten? Hilft einem das, die Versprechen bei internationalen Konferenzen glaubhaft zu machen? Straßen- und Autobahnbau hat noch immer mehr Verkehr erzeugt. International, in Deutschland wie in Frankfurt. Wann werden Politiker – aller politischen Ebenen – und Gerichte das endlich einsehen?
Ich mache mich jetzt auf den Weg in den Wald, um ein letztes Mal die Bilder der Zerstörung zu dokumentieren.
Nachtrag 20.01.2023 15:22 Uhr
Ich komme gerade unverrichteter Dinge aus dem Fechenheimer Wald zurück. Der polizeiliche Betreuer der Beobachter, der ehrenamtliche CDU-Stadtrat Stephan Siegler, mit dem ich auf dem Parkdeck des R & R-Haus Borsigallee sprechen konnte, sagte, dass die Polizei die Betreuung der (parlamentarischen) Beobachter eingestellt hat. Damit hätte die Autobahn GmbH das alleinige Sagen auf dem Rodungsgelände. Die Polizei sei nur noch außen herum tätig, um das Betreten von unbefugten Personen im Sicherungsbereich zu verhindern. Dies stimmt nachweislich nicht, da während unseres Gesprächs weiterhin Polizeibeamte die Rodungsfläche in beiden Richtungen betraten und verließen. Außerdem lautete die am 18.01.2023 um 5:19 Uhr verschickte Mitteilung des Polizeipräsidiums an die Beobachter: „Mit Beginn des polizeilichen Einsatzes stehen an jedem Einsatztag zwei Termine, täglich um 10:00 Uhr und um 14:00 Uhr, zur Beobachtung zur Verfügung.“ Und heute war definitiv Einsatztag auf dem Gelände.
Bei der Autobahn GmbH war niemand telefonisch erreichbar, den oder die ich um Erlaubnis zum Betreten des Geländes anfragen konnte. So kann die Autobahn GmbH ab sofort auf dem Gelände machen was sie will, ohne eine Kontrolle befürchten zu müssen.
Nachtrag 20.01.2023 15:37 Uhr
Gerade kommt eine Email vom Polizeipräsidium Frankfurt herein. Dort wird mitgeteilt, dass die polizeilichen Maßnahmen unmittelbar auf der Trasse der Autobahn GmbH eingestellt wurden und deshalb die Medien- und Besucherbetreuung eingeschränkt wurde. „Sofern Sie den Bedarf einer Betreuung vor Ort haben oder telefonische Auskünfte von uns benötigen, stehen wir Ihnen gerne, auch am Wochenende, täglich von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr zur Verfügung.“
Postwendend habe ich meinen Bedarf eines baldmöglichen begleiteten Rundgangs über das Rodungsgelände angemeldet.
Nachtrag 20.01.2023 18:45 Uhr
Um 18:45 Uhr rief der zweite Verantwortliche des Polizeipräsidiums für die Betreuung der (parlamentarischen) Beobachter, Herr Filpi, bei mir zuhause an. Er teilte mir mit, dass für den Zugang auf dem Rodungsgelände nun ausschließlich die Autobahn GmbH zuständig sei und mein Wunsch dorthin übermittelt wurde. Von dort hatte er die Auskunft bekommen, dass ich ab Mittwoch, 25.01.2023 einen Termin zur Trassenbesichtigung bekommen könne. Vorher sei ein Betreten der Baustelle zu gefährlich. Ich solle mich direkt an den Leiter der Außenstelle Frankfurt der Autobahn GmbH, Herrn Sandro Vincenzi, oder an seine Kollegin Mandy Burlaga, Leiterin Unternehmenskommunikation der Autobahn GmbH, wenden. Das werde ich nun machen.
Bis Mittwoch wird die Baustelle wahrscheinlich tipptopp aufgeräumt sein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.